Zerstörte Vielfalt
Zeitschrift: zeichen 2 / 2013
Der Nationalsozialismus versuchte diese Vielfalt zu zerstören, um die Macht über Staat und Militär und die Macht über die Menschen nach seinem Gutdünken ausüben zu können. Wenn wir uns heute – wie in der eindrucksvollen Stra-ßenausstellung der Stadt Berlin „Zerstörte Vielfalt“ – an die vielen Einzelschicksale erinnern, die diesem Einheitsfanatismus zum Opfer fielen, dann kann uns das die Tränen in die Augen treiben. Das lebendige, vielfältige, aufregende Berlin sollte durch die Nazis zerstört werden.
Unendlich viele Menschen sind diesem Wahn zum Opfer gefallen. Sie mussten auswandern, wurden inhaftiert, gefoltert, umgebracht – und auch die Kirche, jedenfalls in Gestalt der Deutschen Christen, hat dieses Leid durch die Übernahme des „Arierparagraphen“ mit verschuldet.
Wir kennen die Großen unter den Verfolgten: Albert Einstein, Lise Meitner, Fritz Lang, Georg Wertheim und viele andere berühmte Namen. An einige von ihnen erinnert diese Ausgabe des zeichens mit von Karl Grünberg zusammengestellten biografischen Skizzen. Glücklicherweise haben etliche unter ihnen überlebt und in anderen Ländern, oft in den USA, ein erfolgreiches und erfülltes Leben nach dem Krieg geführt. Henry Kissinger und Billy Wilder sind zwei unter ihnen, viele jedoch sind umgekommen oder gescheitert.
Auf jeden Fall verloren Berlin und ganz Deutschland die reiche Vielfalt, die den Jahren zwischen 1920 und 1930 den Titel „Goldene Zwanziger“ eingebracht hatte. An die Berühmten, aber auch an all die vielen Unbekannten, deren Namen und Geschichte wir suchen müssen, wollen wir denken. Wenigstens in der Erinnerung suchen wir nach der Vielfalt, die zerstört wurde.