Predigthilfe zum Israelsonntag
Predigthilfe 2021
Die Erwählung des Gottesvolkes Israel war für Christinnen und Christen an allen Orten und zu allen Zeiten ein Stolperstein. Die Vorstellung, dass neben der Kirche Jesu Christi das erwählte Gottesvolk leben könnte, dem Gott die Treue hält, war offenbar schwer zu ertragen. Und so setzte sich die theologische Figur durch, dass die Erwählung auf die Kirche übergegangen sei. Damit dies auch glaubwürdig erschien, wurden die jüdischen Gemeinden gesellschaftlich an den Rand gedrängt und verfolgt. Ihr sozialer Ort sollte der Beleg dafür sein, dass Gott das Gottesvolk Israel verworfen hat. Erst nach der Shoah ist diese antijüdische Fundierung christlicher Heilsgewissheit jenen bewusst geworden, die sich der Tatsache gestellt haben, dass es Jüdinnen und Juden gibt, die durch alle Katastrophen der jüdischen Geschichte hindurch die Treue Gottes bezeugen. Im christlich-jüdischen Gespräch begann ein christlicher Lernprozess, der die neu gewonnene Erkenntnis in geänderten Bekenntnisaussagen festhielt, wie 1991 in der EKHN: »Aus Blindheit und Schuld zur Umkehr gerufen, bekennen wir neu die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus schließt dieses Zeugnis mit ein.« In dieser Formulierung, die es ähnlich auch in anderen Kirchen gibt, deutet sich eine Aufgabe an, die noch vor uns liegt. Das Christentum hatte sich durch den tiefsitzenden Antijudaismus selbst geistlich den Boden unter den Füßen entzogen. Wie kann es christliche Glaubensgewissheit geben, wenn diese auf Gottes Treulosigkeit gegenüber dem Gottesvolk Israel beruht? Der Hinweis, dass Israel selbst treulos geworden sei, kann da nicht weiterhelfen. Denn dann müsste die Kirche selbst ständig Angst haben, dass Gott die Lust an ihr, an uns verliert.
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