Der Erinnerung Raum geben
Zeitschrift: zeichen 3 / 2016
Die Frage nach der Erinnerung, insbesondere an die Opfer des Nationalsozialismus, ist keine einfache. Gerade dass sich – oft basierend auf beharrlichem zivilgesellschaftlichem oder kirchlichem Engagement – gute und wichtige Formen der Erinnerung auch im öffentlichen Raum entwickelt haben, kann zu einer Ritualisierung der Erinnerung führen. Eine Ritualisierung, die in der Gefahr steht, sich selbst zu genügen und damit zu erstarren. Gemeinsames Erinnern in Deutschland darf keine »Bewältigung« der Vergangenheit sein, sondern muss das Skandalon der unzähligen Opfer und ihrer gestohlenen Lebenszeit beklagen.
Von anderer gut gemeinter Seite droht Gefahr, wenn die Geschichte instrumentalisiert wird und Pädagog_innen gegen Mobbing und Gewalt in den Klassenzimmern mit Blick auf die Ereignisse des Nationalsozialismus argumentieren.
Menschenrechte und Demokratie können nicht allein aus dem Abgrund der Geschichte heraus begründet werden, so argumentiert auch Meron Mendel in seinem Leitartikel. Erinnerung braucht Räume, in denen wir allein oder gemeinsam erinnern können.
Martin Schellenberg geht in seinem Essay der sich wandelnden Bedeutung von Gedenkorten nach. Jakob Stürmann fokussiert in seinem Artikel auf einen Gedenkort, der durch den 75. Jahrestag der Ereignisse verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeitgerückt ist: die Schlucht von Babyn Jar. Er betrachtet die Ukrainische Erinnerungspolitik in ihrem europäischen Kontext.
Traditionell lassen wir im letzten zeichen des Jahres in besonderer Weise unsere aktuellen und ehemaligen Freiwilligen zu Wort kommen. Sie beschreiben die mannigfaltigen Erinnerungsräume, die sie in ihrem Freiwilligendienst erlebt haben und erzählen von den Menschen, denen sie dort begegnet sind.
Einen Schwerpunkt legen wir in diesem Heft auf unser internationales Deutschlandprogramm, das in diesem Jahr sein zwanzigjähriges Bestehen feiert. Unsere Kollegin Anne Katrin Scheffbuch berichtet von der für ASF wertvollen Herausforderung, wenn Freiwillige aus Israel und den USA, aus Ost-, Mittel- und Westeuropa unter dem Leitbegriff »Sühnezeichen« einen Freiwilligendienst leisten und sich mit den unterschiedlichen Narrativen in ihren Familien und Gesellschaften auseinandersetzen.