Israel, Presse

Gerade jetzt: Solidarisch mit den Menschen in Israel

Die ASF-Geschäftsführerin Jutta Weduwen im Interview zu den Folgen der Terrorwelle gegen Israel für unsere Partner*innen und Freiwilligen, die vorerst ihren Freiwilligendienst im Land unterbrechen müssen sowie über eine klare Haltung zu antisemitischen Reaktionen in Deutschland und anderswo.

Bild: Wikimedia Commons/דג קטן [CC BY-SA 4.0]

Redaktion: Wie erlebst Du die Situation in Israel seit dem 7. Oktober?

Jutta Weduwen: Ich habe am 7. Oktober früh die erste Nachricht von Judith Kuhne, unserer Landesbeauftragten in Israel, erhalten. Im Laufe der nächsten Stunden erschloss sich dann das Grauen, das über Israel hereingebrochen ist. Wir waren und sind im Austausch mit Freund*innen vor Ort, mit unseren Partnerorganisationen und den Freiwilligen.

Die grausamen Terrorangriffe der islamistischen Hamas übersteigen alles, was wir bisher kannten und erlebt haben. Israelische Zivilist*innen und Soldat*innen wurden von den Terroristen getötet, gequält und verschleppt. Menschen sind in großer Angst um ihre Lieben, um ihre Sicherheit, um das Land. Eine Freundin berichtete mir, dass eine enge Freundin von ihr, eine ältere Frau, in den Gaza-Streifen entführt wurde. Wir sehen die verstörenden Bilder und lesen die Nachrichten über entführte Kinder, unfassbare Gewalt gegen Frauen, Gemetzel auf dem Musikfestival und im Kibbuz Be’eri. Zu dem Kibbuz hatte ASF früher auch Verbindungen. Eine ehemalige Freiwillige hat das Massaker in Kfar Aza überlebt Ich bin entsetzt und die Berichte von Freund*innen, die gerade so viel Leid erleben, brechen mir das Herz. Es war ein verheerender Terroranschlag, der nicht aufhörte.

Wie gehen die Freiwilligen mit der Situation um?

Die Freiwilligen waren zum Zeitpunkt der Anschläge erst seit einem Monat im Land, nach dem Einführungsseminar in Jerusalem eigentlich erst seit zwei Wochen an ihren Freiwilligenstellen. Wir haben keine Freiwilligenstellen in der Gegend, die von der Infiltration der Hamas direkt betroffen sind. Der südlichste Einsatzort der Freiwilligen ist Tel Aviv, andere Freiwillige sind in Nahariya, Afula, Herzliya, Haifa und Jerusalem. Natürlich waren die Freiwilligen in den Tagen der Angriffe sehr verunsichert, sie bekamen den wiederholten Raketenalarm mit, sie mussten Schutzräume aufsuchen.

Israel befindet sich im Ausnahmezustand, diese perfide Bedrohung der Zivilbevölkerung ist einzigartig, die Opferzahlen sind immens, die Situation ist grauenhaft. Das spürten die Freiwilligen, das ist eine Belastung. Unsere Israel-Freiwilligen werden im Vorfeld und vor Ort auf den Umgang mit diesen Krisensituationen vorbereitet, sie sind in Krisenlisten des Auswärtigen Amtes eingetragen und meine Kollegin Judith Kuhne steht vor Ort begleitend zur Seite. Dennoch war und ist die Situation eine große Herausforderung.

Wie geht es weiter?

Wir haben in Absprache mit den Freiwilligen und unseren Partnerorganisationen entschieden, dass alle Freiwilligen ihren Dienst in Israel unterbrechen und erst einmal nach Deutschland kommen. Die Suche nach Flügen war zeitraubend und mühsam und so waren wir erleichtert, dass Sonderflüge eingerichtet wurden. Am 13.Oktober waren alle Freiwilligen zurück in Deutschland. Nun schauen wir mit den Freiwilligen, wie es weitergehen kann.

Wir hoffen sehr, dass die Freiwilligen möglichst zurückkehren können, um ihren Dienst fortzusetzen. Dafür werden wir die Sicherheitslage aber gut abwägen.

Ich bin unserer Landesbeauftragten Judith Kuhne sehr dankbar für ihren großen Einsatz vor Ort. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Jerusalem, sie sind auch von der ganzen Situation getroffen. Die Arbeit muss unter Hochdruck weitergehen, während die Kitas geschlossen sind und immer neue Informationen kommen.

Judith steht im Austausch mit unseren Partner*innen vor Ort. Sie haben großes Verständnis, dass die Freiwilligen ihren Dienst unterbrechen und haben sich für die Absprachen und die fürsorgliche Begleitung der Freiwilligen bedankt. Wir sind auch im Kontakt mit Holocaust-Überlebenden, die von den Organisationen „Amcha“ und „Irgun Jozei Merkas Europa“ gut begleitet werden. Die Berichte von Jüdinnen und Juden, die sich über Stunden in Kellern oder auf Feldern verstecken mussten, die schwerste Gewalt und Judenhass erleben mussten oder die Bilder der Geiseln und Leichen, die öffentlich verhöhnt werden, rufen für viele Überlebende, aber auch für ihre Nachkommen traumatische Erfahrungen der Shoah auf. Umso wichtiger ist die psychosoziale Betreuung durch Familien und unsere Partnerorganisationen.

Wie sieht ASF die Debatte in der deutschen Öffentlichkeit?

Ich finde es sehr wichtig, dass Menschen ihre unmissverständliche Solidarität und Verbundenheit mit Israel ausdrücken. An verschiedenen Orten gab und gibt es Kundgebungen, die diese Solidarität ausdrücken. ASF hat diese Aufrufe unterstützt. Israel ist ein Land, das Jüdinnen und Juden Zuflucht und Sicherheit gibt und geben soll. Der 7. Oktober markiert einen grausamen Angriff auf die Sicherheit der Menschen in Israel. Das darf einfach nicht sein.

Die Demonstrationen, die vielerorts die terroristischen Taten der Hamas bejubeln, entsetzen mich. Auch wenn Palästinenser*innen für ihre Rechte und Selbstbestimmung kämpfen, müssen sie nicht Terror-Organisationen unterstützen. Der israelfeindliche und antisemitische Hass auf den Straßen muss ernst genommen werden, dagegen müssen wir alle eindeutig vorgehen und Position beziehen.

In der Debatte wird nun oft auf beide Seiten und die Vorgeschichte des Nahostkonfliktes gezeigt…

Es ist erschreckend, wenn die Terrorangriffe der Hamas relativiert werden, ein Phänomen, das auch mit whataboutism und bothsiderism beschrieben wird. Diese Massaker sollten als das bezeichnet werden, was sie sind: Es sind islamistische Terrorangriffe. Dahinter steht die hasserfüllte Ideologie der Hamas. Sie richten sich in einer unfassbaren Gewalt gegen Jüdinnen und Juden, gegen das Existenzrecht Israels und gegen demokratische und emanzipatorische Werte. Diese Terrorangriffe dürfen weder mit der Besatzungspolitik Israels, noch mit der Dominanz der westlichen Welt (weg)erklärt werden.

Gleichwohl kann ich mahnen, dass bei der Verteidigung Israels durch das Militär Völkerrecht gewahrt und eine humanitäre Katastrophe verhindert werden soll – wobei auch hier die Hamas aus zynischem Kalkül alles dafür tut, damit möglichst viele Zivilist*innen im Gaza-Streifen ungeschützt bleiben. Auch kann ich die Rechte und Nöte der Palästinenser*innen im Blick haben und gleichzeitig die israelische Gesellschaft in ihrer Vielfalt der Positionen und Hintergründe wahrnehmen. Und das ist auch der entscheidende Unterschied: Bei allen Spannungen und Ungerechtigkeiten im Land bleibt Israel ein demokratischer Staat und eine diverse Gesellschaft, in der Menschen Vielfalt leben und öffentlich der Regierung widersprechen können – die Hamas-Herrschaft hingegen ist ein Terrorregime, das Leiden auf beiden Seiten will und bringt.

Was tut ASF in dieser Situation konkret im Land?

Wenn es Menschen aus dem Süden Israels gibt, die Zuflucht brauchen, wollen wir die vorerst leer stehenden Wohnungen der Freiwilligen anbieten. Ebenso möchten wir schauen, ob wir mit dem Gästehaus Beit Ben Yehuda Unterstützung geben können. So versuchen wir, praktisch zu helfen. Wir haben in Israel einen großartigen Freundeskreis, der uns ehrenamtlich unterstützt. Dadurch können wir gut in Erfahrung bringen, welche Hilfe und Unterstützung gerade benötigt wird.

Wir halten den Kontakt zu unseren Partner*innen und Freund*innen – in Israel, aber auch zu den jüdischen Partner*innen hier in Deutschland – und zeigen ihnen unsere Verbundenheit, das ist es, was wir in dieser schweren Zeit tun können.

Über die ASF-Israelarbeit

Der Freiwillige Johann und Georges bei einem Ausflug nahe Jerusalem. Johann unterstütze Georges im Alltag, sie unternahmen aber auch viele Aktivitäten. Bild: ASF/Ruthe Zuntz
Die ASF-Freiwillige Lina arbeitete 2017 mit Kindern im Clore Center in Haifa. Bild: ASF/Helena Schätzle
Der ASF-Freiwillige Constantin 2017 in der Gedenkstätte Yad Vashem. Bild: ASF/Helena Schätzle
Der ASF-Freiwillige Aaron arbeitete 2022 in einer inklusiven Schule in Nahariya.

Seit 1961 engagieren sich jedes Jahr ASF-Freiwillige bei verschiedenen Partnerorganisationen in Israel. Dort begleiten sie Shoah-Überlebende, sozial benachteiligte Menschen und Menschen mit Behinderungen und sind an Gedenkorten, Archiven und Museen tätig. Freiwillige aus Israel engagieren sich regelmäßig im internationalen Freiwilligenprogramm von ASF in Deutschland. Zahlreiche enge Weggefährt*innen darunter viele Überlebende der #Shoah haben diese Annäherung möglich gemacht und wesentlich mit gestaltet. #standwithisrael

Mehr Informationen über unser Freiwilligenprogramm in Israel hier.

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