Israel
Ein Brief aus Jerusalem

Wie Ihr sicherlich mitbekommen habt, befand sich Israel seit dem 13. Juni in einem 12-tägigen Krieg mit dem Iran. Israel hat dabei zunächst eine Luftoffensive gegen iranische Ziele gestartet – insbesondere gegen Nuklearanlagen und Führungspersonen des Militärs. Im Gegenzug reagierte der Iran mit der sogenannten Operation „True Promise III“ und feuerte hunderte ballistische Raketen sowie zahlreiche Drohnen auf Israel ab – teilweise mit Sprengköpfen von bis zu einer Tonne.
Dass es irgendwann zu einem direkten Krieg zwischen Israel und dem Iran kommen könnte, haben viele hier erwartet – einerseits, weil das fortgeschrittene Atomprogramm seit Jahren Anlass zu großer Sorge ist; andererseits, weil der Iran als Drahtzieher und Finanzier zahlreicher Terrorgruppen in der Region gilt (Hisbollah, Huthi-Rebellen, Islamischer Dschihad, Hamas, schiitische Milizen im Irak u.a.), die seit dem 7. Oktober Teil des Kriegsgeschehens sind.
Was bedeutete das konkret für unseren Alltag?
Wir alle haben auf unseren Handys die App von Pikud HaOref (Heimatfrontkommando) und bekommen regelmäßig Hinweise, wie wir uns als Zivilbevölkerung verhalten sollen. Während des Krieges hieß das u.a.: dass wir uns immer in der Nähe eines Schutzraums aufzuhalten sollten, nicht zur Arbeit gingen (außer man arbeitete in einem systemrelevanten Beruf), Schulen geschlossen blieben, ebenso Restaurants – wobei manche immerhin noch Take-Away anbieten. Supermärkte, Apotheken und andere Grundversorgungseinrichtungen hatten geöffnet. Auch die Deutsche Botschaft hatte ihren Betrieb eingestellt; ein Großteil des Personals wurde bzw. wird über Amman ausgeflogen. Der israelische Luftraum blieb vollständig gesperrt, d.h. es gab keine regulären Flüge ins oder aus dem Land.
Wenn Raketen geortet wurden, erhielten wir in der Regel eine Push-Mitteilung – etwa zehn Minuten vor Ankunft in Israel. Zeit, um sich anzuziehen und den Weg zum Luftschutzraum anzutreten. Unser Bunker liegt zwei Stockwerke unter uns im Erdgeschoss; dort traf sich dann meistens die gesamte Nachbarschaft.
Wenn die Sirene ertönt – was nicht immer passiert, z.B. wenn die Raketen „über unsere Köpfe“ in Richtung Küste / Tel Aviv fliegen – ging es in den Luftschutzunker. Ich fühlte mich dort immer ein bisschen wie auf einer Zeitreise in die 80er Jahre: kein Handynetz, kein Internetempfang… dafür ein kleines Kofferradio mit rauschendem Ton, über das wir uns informierten. Viele unserer Nachbarn verbringen die Zeit mit Beten, für uns ist es aber auch eine Gelegenheit ins Gespräch mit vielen Nachbar*innen zu kommen, die wir nicht kannten – was durchaus nett sein kann.
Müdigkeit
Eine Grundgefühl im Land ist neben der verständlichen Sorge auf jeden Fall: „Müdigkeit“. Oft gab es mehrere Alarme in der Nacht. In den sozialen Medien kursierte ein Meme mit Moses und dem Spruch: „Let my people sleep“ – das brachte die Stimmung recht gut auf den Punkt.
Wir persönlich sind in Jerusalem bisher glimpflich davongekommen – keine Einschläge, keine Toten. Anders sieht es bei einer Freundin von uns in Bat Yam (südlich von Tel Aviv) aus: Ihre Wohnung wurde bei einem der letzten Angriffe vollständig zerstört. Sie lebt zurzeit mit ihrem behinderten Kind in einem Hotel in Tel Aviv. Ihr trockener Kommentar: „Vor 29 Jahren auf den Tag genau bin ich mit einem Koffer eingewandert – und heute ist genau ein Koffer von dem übrig, was ich mir aufgebaut habe.“
Was mich zusätzlich traurig gemacht hat, war, dass sie das Gefühl hat, vom Staat im Stich gelassen zu werden – nicht unbedingt finanziell (da wird sicher noch etwas kommen), sondern was konkrete, menschliche Unterstützung betrifft: Wie geht man mit dem psychischen Schock, mit dem Verlust, mit der Bürokratie um? Die Abwesenheit des Sozialstaates hatten wir schon sehr nach dem 7. Oktober erleben müssen und leider hat man hier nicht viel aus den Fehlern gelernt. Getroffen wurden jedoch nicht nur Wohnhäuser, sondern auch Einrichtungen wie das Soroka-Krankenhaus in Beʾer Scheva oder das Weizmann-Institut für Wissenschaften in Rechovot.
Nachdem lange unklar war, ob die USA in den Krieg direkt intervenieren würde, kam es am 22. Juni dann doch zu US-amerikanischen Luftangriffen auf die iranischen Atomanlagen in Fordo, Natans und Isfahan mit dem Ziel, die iranischen Kapazitäten zur Urananreicherung zu zerstören und damit die nukleare Bedrohung durch den Iran zu beenden. Kurze Zeit später, am 24. Juni, kam es dann zu einer Waffenruhe zwischen den beiden Ländern.
Während nach offiziellen israelischen und US-amerikanischen Angaben das Ziel erreicht wurde, das iranische Nuklearprogramm um Jahre zurückzuwerfen, befürchten unabhängige Medien sowie die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA), dass die Zerstörungen infolge des Angriffs geringer ausgefallen seien, als zunächst angenommen und die Gefahr einer iranischen Atombewaffnung noch lange nicht gebannt sei.
Was bedeutet das für ASF in Israel?
Die Entscheidung, ob ASF nächstes Jahr wieder Freiwillige nach Israel entsenden wird, ist noch offen. Wir haben beschlossen, die Lage noch etwas zu beobachten – und uns dann neu zu beraten. Die Vorstellung, mit Freiwilligen im Land zu sein, während der Luftraum gesperrt ist, ist natürlich schwierig. Andererseits könnte die Zerstörung des iranischen Atomprogramms, die aktuelle Schwächung der iranischen Stellvertreterarmeen und die nun neu geltende Waffenruhe eine Dynamik ermöglicht, die uns mehr Stabilität in die Region bringt.
Uriel Kashi, ASF-Landesbeauftragter und Leiter der Begegnungsstätte Beit Ben-Yehuda in Jersualem
Netzwerk Israel
ASF unterstützt mit dem Netzwerk Israel die Opfer der Anschläge vom 7. Oktober und die Angehörigen der Geiseln sowie alle Menschen im Land, die unter den fortgesetzten Kämpfen leiden, wie die vielen Menschen, die vor den Raketenbeschüssen ihre Wohnhäuser verlassen mussten. Das Netzwerk fördert gerade in dieser immens angespannten Situation Initiativen, die sich im Land für jüdisch-arabische Koexistenz und Kooperation einsetzen und möchte die unabhängige Zivilgesellschaft bewusst stärken.
Erinnerungen und Perspektiven im Austausch
64 Jahre ASF in Israel, 60 Jahre diplomatische Beziehungen
Im Jahr 2025 blicken wir auf zwei bedeutende Jubiläen: 60 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sowie 64 Jahre Freiwilligendienste von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) in Israel. Über 1.000 junge Menschen haben seit 1961 ihren Freiwilligendienst in Israel geleistet – in Gedenkstätten, sozialen Einrichtungen und zivilgesellschaftlichen Projekten. Ihr Engagement hat Spuren hinterlassen – im Leben der Menschen, in den deutsch-israelischen Beziehungen und in vielen persönlichen Biografien.
Dieses Doppeljubiläum möchten wir gemeinsam mit Euch begehen – in Form einer digitalen Begegnung.
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Uriel Kashi
Landesbeauftragter Israel
Rh. Ein Gedi 28
93383 Jerusalem
E-Mail: israel[at]asf-ev.de
Tel.: +972 2 6732587
Fax: +972 2 6717540
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