Israel

Zu Besuch bei Michael Krupp

Kürzlich wurde Michael Krupp mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. In seiner Rede erinnerte der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, auch an Krupps Wirken in den 1970er-Jahren für Aktion Sühnezeichen Friedensdienste Israel. Für mich war das Anlass, ihn in seinem Haus in En Karem zu besuchen, um mehr über diese Zeit zu erfahren.

Uriel Kashi und Michael Krupp im März 2025, Bild: ASF

Wir saßen in der Morgensonne auf seiner Terrasse, mit Blick auf die bewaldeten Hügel westlich von Jerusalem. Michael Krupp erzählte, wie er bereits 1959, als Student der Theologie, zum ersten Mal per Anhalter nach Israel reiste. Da es noch keine diplomatischen Beziehungen zwischen den Ländern gab, war ein israelisches Visum nur mit persönlicher Einladung eines Israelis erhältlich. Diese Einladung, so erinnert sich Krupp, erhielt er in Berlin von einem Kibbutznik aus dem deutsch-jüdischen Kibbutz Galed, der sich anlässlich sogenannter „Wiedergutmachungsverhandlungen“ in Deutschland aufhielt. Daas Visum stellte schließlich die israelische Mission in Köln aus.

In jenen frühen Jahren sei die Begegnung zwischen Deutschen und Israelis noch von einer beidseitiger Unsicherheit geprägt gewesen. Die meisten Deutschen hätten kaum etwas über das heutige Israel gewusst, aber auch viele Israelis hätten wenig Kenntnis darüber gehabt, wie sich Deutschland nach 1945 entwickelt hatte.

In Israel angekommen, verbrachte Krupp einige Wochen in Galed, später im religiösen Kibbutz Tirat Tsevi im Emek Beit Shean, in dem sowohl deutsch- als auch polnischstämmige Israelis lebten. Während die deutschstämmigen Jüdinnen und Juden häufig Erinnerungen an das Deutschland vor der NS-Zeit bewahrt hatten – an Bildung, Kultur, Freundschaften – und ihm mit großer Neugierde gegenübertraten, kannten viele polnischstämmige Israelis Deutsche nur als Täter, als Vollstrecker eines rassistischen Vernichtungswillens. Entsprechend schwierig war der Zugang zu ihnen.

Aber auch für einige deutschstämmige Juden war der Kontakt mit dem jungen Deutschen nicht immer einfach. Die Erinnerung an die grausamen Erfahrungen aus der Nazizeit war zu frisch, die Wunden zu tief. Und so zogen sich manche, nachdem sie Nähe zugelassen hatten, wieder zurück.

Das zweite Mal, dass Michael Krupp für längere Zeit in Israel war, waren die Jahre 1964 bis 1966. Er studierte an der Hebräischen Universität in Jerusalem und knüpfte in dieser Zeit engere Verbindungen zu Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, die seit 1961 in Israel arbeitete. Einer der zentralen Ansprechpartner war Otto Schenk – ein junger Diakon, der als Pionier des Freiwilligeneinsatzes in Israel galt.

Die ersten Freiwilligen, die damals aus Deutschland nach Israel kamen, waren noch nicht in sozialen Projekten tätig. Sie arbeiteten auf der Baustelle eines Blindenheims in Kiryat Moshe, mischten Beton und errichteten Mauern – körperlich fordernd, unter einfachsten Bedingungen. Das Blindenheim war eines der ersten sichtbaren Resultate des neuen Freiwilligendienstes. Die Freiwilligen wohnten am Anfang im Blindenheim selbst. Später arbeiteten die Freiwilligen auf dem Bau des Behindertenheimes Alyn und bekamen von der Stadt ein Haus in En Karem, das ASF als Gegenleistung für geleistete Bauhilfe zur Verfügung gestellt wurde. Später als die Arbeit in anderen Projekten ausgeweitet wurde, wohnten die Freiwilligen zum Teil auch in den Heimen, in denen sie arbeiteten. Michael Krupp erinnert sich, dass die Unterkünfte der Freiwilligen manchmal „aussahen wie Abstellkammern“. In einem davon war sogar gleichzeitig die kleine Bibliothek des Heims untergebracht. Privatsphäre war kaum vorhanden, der Alltag geprägt von Provisorien.

Ab 1970 leitete Michael Krupp schließlich gemeinsam mit Rudolf Maurer die Arbeit von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Israel. Während Maurer sich viel mit Logistik und Organisation beschäftigte war Krupp u.a. für die Seminararbeit zuständig. Im Beit Ben Yehuda, dass ASF von der Jerusalemer Stadtverwaltung zur Verwaltung überlassen wurde, fanden die vierwöchigen Einführungsseminare für die Freiwilligen statt – mit Themen zur israelischen Gesellschaft, zur Geschichte des Zionismus, zur jüdischen Religion und zur politischen Realität im Nahen Osten.

Hin und wieder ließ sich auch die Familie Ben Yehuda blicken. Dola Ben Yehuda, Tochter des Begründers der modernen hebräischen Sprache, kam gemeinsam mit ihrem deutschen Ehemann zu Besuch. Das Haus sei „ihr Elternhaus“, sagte sie einmal – und wollte sehen, was daraus geworden war. Häufig kam der Sohn Ehud. Einmal versprach er ein großes Fasanenessen. Er war ein begeisterter Fasanenjäger. Allerdings war der eine Fasan kaum ausreichend für die etwa dreißig Freiwilligen.

Die Kontakte zur Stadtverwaltung beschreibt Krupp als hervorragend – insbesondere zu Bürgermeister Teddy Kollek, der selbst aus einer österreichisch-jüdischen Familie stammte. Auch in israelischen Ministerien traf man auf Gesprächspartner/Innen mit deutschsprachigem Hintergrund. Diese Menschen standen ASF offen gegenüber – nicht zuletzt, weil sie in der Präsenz junger Deutscher in Israel einen Beitrag zur Verständigung und zur moralischen Aufarbeitung der Vergangenheit sahen.

Zu den Freiwilligen befragt, erzählt Krupp, dass es sich hauptsächlich um junge Männer handelte, die als Kriegsdienstverweigerer ihren Ersatzdienst im Ausland leisteten. Politisch waren sie nahezu alle im linken Spektrum verortet und kamen mit dem Wunsch, den jungen jüdischen Staat zu unterstützen. Gleichzeitig empfanden viele auch eine klare Solidarität mit den Palästinenser/innen. Dieser doppelte Anspruch – pro-israelisch und pro-palästinensisch zugleich zu sein – wurde von den meisten nicht als Widerspruch erlebt, sondern als selbstverständliche politische und moralische Haltung.

Nur in einer kleinen Gruppe kam es zu einer stärkeren ideologischen Zuspitzung. Diese Freiwilligen wollten sich nicht in jüdischen Alten- oder Behinderteneinrichtungen engagieren, wie es üblich war, sondern forderten, ausschließlich in arabischer Kulturarbeit tätig zu sein. Die politische Reaktion folgte prompt: Einzelne Stimmen warfen ASF vor, „Terroristen ins Land geholt“ zu haben. Die betreffende Gruppe wurde schließlich nach Deutschland zurückgeschickt.

Trotz dieses Vorfalls betont Krupp, dass das Verhältnis zwischen den Freiwilligen und ihren israelischen Partnern insgesamt von gegenseitigem Respekt und Offenheit geprägt war. Viele israelische Projektverantwortliche waren selbst politisch links orientiert und verstanden die Haltung der Freiwilligen – auch wenn sie nicht alle Positionen teilten. Es herrschte ein Klima des ernsthaften Dialogs. Man diskutierte kontrovers, aber man arbeitete miteinander.

In die Amtszeit von Michael Krupp fiel auch der Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973 – ein Ereignis, das nicht nur die israelische Gesellschaft, sondern auch die Arbeit von ASF auf die Probe stellte. Krupp erzählt, dass er sich zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs gerade in Deutschland aufhielt. Als er versuchte, zurück nach Israel zu fliegen, sei er mehrfach an Flughäfen abgewiesen worden. „Ata chayal?“ – „Sind Sie Soldat?“ – habe man ihn gefragt. Erst über die Schweiz gelang ihm schließlich die Rückkehr nach Jerusalem.

In Jerusalem selbst blieb es während des Krieges vergleichsweise ruhig. Es fielen keine Bomben, es gab keine Kämpfe im israelischen Kernland. Und doch, so erinnert sich Krupp, habe ein Ausnahmezustand geherrscht: Alle israelischen Männer wurden eingezogen, viele soziale Einrichtungen standen plötzlich ohne Personal da. Die ASF-Freiwilligen blieben – und wurden nun dringender gebraucht denn je.

Rudolf Maurer, der gemeinsam mit Krupp die ASF-Arbeit leitete, blieb durchgehend vor Ort. In En Karem, in dem viele Männer an die Front gerufen worden waren, sei er der Einzige mit einem Auto gewesen, erzählt Krupp. Maurer fuhr regelmäßig durch die Straßen und brachte Brot und Milch – eine kleine, aber entscheidende Geste, die vielen Menschen in Erinnerung blieb.

Nach seiner Zeit bei Aktion Sühnezeichen widmete sich Michael Krupp ganz dem Aufbau des Programms „Studium in Israel“, das er gemeinsam mit dem evangelischen Theologen Martin Stöhr und anderen ins Leben rief. Ziel war es, deutschen Theologiestudent/Innen ein vertieftes Studium des Judentums in Jerusalem zu ermöglichen. Während sich ASF personell und inhaltlich weiterentwickelte, brach der Kontakt zwischen Krupp und der Organisation über viele Jahre hinweg ab.

Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes bot nun den passenden Anlass, diesen Kontakt wiederaufzunehmen. Bei meinem Besuch beeindruckte mich, mit welcher Genauigkeit Michael Krupp die Anfänge von Aktion Sühnezeichen in Israel rekonstruieren konnte – mit konkreten Erinnerungen an Situationen, Personen, Konflikte und Entwicklungen.

Er selbst hat angeboten, seine Erinnerungen auch mit der nächsten Generation von Freiwilligen zu teilen. Wir freuen uns auf diese Begegnung.

Uriel Kashi, ASF-Landesbeauftragter in Israel

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