Verdrängte Verfolgung, erkämpfte Erinnerung

Zeitschrift: zeichen 3/2024

Im kommenden Jahr jährt sich das Ende der NS-Vernichtung zum 80. Mal. Die Auseinandersetzung mit dieser Gewaltgeschichte wurde durch Geschichtswerkstätten, Erinnerungsorte und auch durch Organisationen wie ASF stark geprägt. Dennoch gibt es bis heute NS-Verfolgte, über deren Unterdrückung im Nationalsozialismus kaum etwas bekannt ist – auch weil sie bis heute Diskriminierung ausgesetzt sind – als Rom*nja und Sinti*zze, als Schwarze Menschen, als Wehrdienstverweigerer, aufgrund einer Behinderung oder einem nonkonformen Lebenswandel, der als »asozial« brutal verfolgt wurde. Diesen Menschen wollen wir dieses zeichen widmen.

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Wir stellen in Kooperation mit den innovativen Erinnerungsprojekten #zumfeindgemacht und Zweitzeugen* ganz unterschiedliche Lebenswege vor, denen eines gemeinsam ist: Sie sind nicht nur durch die NS-Verfolgung, sondern auch durch Verdrängung nach dieser Zeit geprägt. Zugleich wird sichtbar, wie sich Verfolgte beistanden und in der Nachkriegszeit für die Anerkennung ihrer Verfolgung und die Erinnerung an die Opfer eintraten.

Dieses Gedenken und auch Entschädigungszahlungen mussten förmlich erkämpft werden: Oft entschieden dieselben Behörden über die Verfahren, die auch Teil der NS-Verfolgung waren. Systematisch verschleppten sie Aufklärung und Anerkennung, ja sie verfolgten viele Opfer weiter, wie Thomas Lutz und Jost Rebentisch in ihren Beiträgen beschreiben.

Zudem traf und trifft viele Betroffene bis heute gesellschaftliche Ausgrenzung, die teils auch zwischen KZ-Häftlingen Hierarchien setzte, was Insa Eschebach für den Geschlechtsnonkonformismus in Ravensbrück aufzeigt.

Die fortwährende Diskriminierung prägt auch das (Nicht-)Erinnern in Familien, mit dem sich der ehemalige ASF-Freiwillige Harald Hahn in einem »Monolog mit meinem ›asozialen‹ Großvater« auseinandersetzt. Lutz van Dijk erinnert sich, wie eine Gruppe junger Schwuler Ende der 1980er-Jahre mit dem Überlebenden Karl Gorath die erste Gedenkreise in die Gedenkstätte Auschwitz unternahm. Eine spannende Ausstellung und ein Webportal setzt sich mit den „Verleugneten“ unter den NS-Opfern auseinander, mehr dazu im Heft.

Heute begleiten ASF-Freiwillige die letzten Überlebenden auf ihren ganz unterschiedlichen Lebenswegen. Sie begleiten zudem verschiedene Menschen, die oftmals an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Anna und Karl berichten aus den Niederlanden über ihr soziales Engagement, das immer auch eine historische wie politische Dimension hat. In unseren Partnerländern erfahren die Freiwilligen zudem über die jeweiligen Erinnerungskulturen, die ebenfalls Leerstellen und Hierarchien unter den NS-Verfolgten und Kriegsopfern kennt, wie Berichte aus Norwegen, der Normandie und dem postsowjetischen Raum zeigen.

In unserer Arbeit begegnet uns die Kontinuität verdrängter, aber auch erkämpfter Erinnerungen immer wieder. Ich durfte im letzten Jahr eine Gedenkfahrt von Sinti aus Ostfriesland nach Auschwitz begleiten. Die Nachfahren der zweiten und dritten Generation recherchierten und gedachten gemeinsam der Opfer in ihren Familien – und berichteten über ihr gemeinsames Engagement gegen heutige Ausgrenzung.

Die Begegnungen haben mich sehr berührt. In diesem Heft oder auf eine Website können diese #10Perspektiven nachgelesen werden.

AFS-Blog

10 Perspektiven: Sinti* über Auschwitz, Widerstand und Selbstbehauptung in der Gegenwart

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