ASF-Weggefährt*innen, Erinnerungskultur
Unbequem, aber solidarisch: Peggy Parnass ist tot

Ihre Eltern kamen aus Polen nach Hamburg, wo Peggy Parnass 1927 geboren wurde. Die Stadt sollte trotz der Flucht vor den Nazis ihre Heimatstadt bleiben. Die jüdische Familie trafen in den 1930er-Jahren die antisemitischen Schikanen immer härter. Die Zwölfjährige konnte 1939 mit ihrem vier Jahre alten Bruder Gady mit einem Kindertransport nach Stockholm gerettet werden. Ihre Eltern wurden 1943 im Vernichtungslager Treblinka umgebracht. In den folgenden lebten sie in vielen verschiedenen Pflegefamilien und wurden dabei auch zeitweilig getrennt. Peggy kämpfte schon früh für ihren Bruder, der in einem Kinderheim Vernachlässigung und Gewalt erlitt. Kurz vor Ende des Krieges kamen die Kinder zu einem Onkel nach London, der als einziger der Familie durch Flucht überlebt hatte. Während ihr Bruder die englische Staatsbürgerschaft annahm, ging Peggy zurück nach Schweden, wo sie 1951 ihren Sohn Kim bekam.
Nach einem Studium in Stockholm, London, Hamburg und Paris und zahlreichen Jobs als Sprachlehrerin, Filmkritikerin, Kolumnistin und Dolmetscherin für die Kriminalpolizei, kehrte Peggy in ihre Heimatstadt zurück, wo sie als Übersetzerin, Schauspielerin, Gerichtsreporterin und Kolumnistin arbeitete. Ihre Wohnung im Hamburger Stadtteil St. Georg wurde zum Treffpunkt von Künstler*innen und Aktivist*innen. Sie engagierte sich gegen die Verdrängung der NS-Verbrechen, gegen alte und neue Nazis und berichtete bis ins hohe Alter von der Verfolgung ihrer Familie, darunter auch beim 60. Jubiläum von ASF zusammen mit Mariane Poeschel in Berlin. Sie schrieb über ihr Leben in der Autobiographie „Süchtig nach Leben“ (1990) und über ihre Kindheitserinnerungen das Buch „Kindheit: Wie unsere Mutter uns vor den Nazis rettete“ (2012).
Sie gilt als Ikone der queeren Bewegung, bekämpfte schon früh die Verfolgung Homosexueller nach dem Paragrafen 175 im Strafgesetzbuch und lebte einen selbstbewussten Feminismus. In einem taz-Interview sagte sie im Rückblick: „Ich habe mich immer für Schwule eingesetzt, und Schwule für mich, Gott sei Dank, ich war ja allein. Die ganzen Jahre, als sie wie Dreck behandelt wurden. Da glaube ich, haben wir schon einiges im Laufe der Zeit bewirkt. “
Nach einem Sturz musste sie aus ihrer langjährigen Wohnung voller Bücher, Fotografien und Erinnerungen in ein Pflegeheim ziehen. Hier unterstützte sie die ASF-Partnerorganisation „Psychosoziale Arbeit mit Verfolgten“. Sie war bis zum Schluß im Begegnungscafé. Da brauchte sie Hilfe, auch beim Essen, war aber immer da. ASF-Freiwillige aus dem internationalen Freiwilligenprogramm besuchten sie. Alesja Belanovich aus Belarus beschrieb, wie beeindruckend diese Begegnungen waren: „Peggy Parnass hat einmal gesagt, dass sie ihr ganzes Leben kämpft. Gegen Nazismus, Atomwaffen, Bundeswehrdienst. Für Frieden, Gleichberechtigung, Toleranz. Es fällt schwer, zu kämpfen, ohne Hoffnung, dass Ziel zu erreichen. Sie kämpft aber weiter. Nicht aufgeben! Nicht ruhig bleiben! Das lerne ich von Dir, Peggy!“
Obwohl sie sich zeitlebens in ihrer Heimatstadt Hamburg sozial und politisch einbrachte, verwehrte ihr die Hansestadt die Ehrenbürgerurkunde. Vielen war und blieb sie bis zum Schluss eine zu unbequeme eigenständige Stimme der Erinnerung und des Engagements. Sie wird auf dem Jüdischen Friedhof Ohlsdorf beerdigt.
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