Israel

Lishmor al Kesher: Ein Lichtblick in schwierigen Zeiten

Die Traumata des 7. Oktober treffen Überlebende der Shoah besonders. Auch unter dem Kriegszustand mit Raketenalarm und drohender Isolation leiden sie besonders. Unsere Freiwilligen können sie nach wie vor nicht besuchen. Umso wichtiger sind persönliche Begegnungen wie jüngst in der Jerusalemer ASF-Bildungsstätte Beit Ben Yehuda.

Die Position als Landesbeauftragter von ASF in Israel habe ich erst seit September inne, und eine meiner ersten Aufgaben sah ich darin, die viele Partner*innen, die sich über ganz Israel verteilen, zu besuchen. Denn nach den Terrorangriffen vom 7. Oktober 2023 mussten unsere Freiwilligen ausreisen, umso wichtiger war es für ASF den persönlichen Kontakt zu unseren Weggefährt*innen zu halten, die unter den Angriffen und der fortwährenden Kriegssituation leiden. Bei jedem Treffen wurde mir klarer, wie wichtig das Engagement der ASF-Freiwilligen für die betroffenen Institutionen ist und wie eng die Beziehungen zwischen Freiwilligen und Betreuten oft waren.

Die Sozialarbeiterin Michal vom Seniorenheim „Idan Hazahav“ in Jerusalem berichtete mir begeistert von einem Freiwilligen, der mit seiner Gitarre immer für Stimmung sorgte, indem er alte Lieder spielte und die älteren Menschen zum Mitsingen animierte. Robin, eine Lehrerin der Jerusalemer Rachel-Strauß-Schule für Kinder mit Behinderungen, erzählte von einer jungen ASF-Freiwilligen, die sich mit besonderer Hingabe um Schüler*innen einer siebten Klasse kümmerte. Iris, die in einem anderen inklusiven Projekt in Nahariya arbeitet, betonte, wie das sorgfältige Auswahlverfahren von ASF besonders motivierte junge Menschen zu ihr gebracht habe und wie sehr sie die positive Ausstrahlung und gute Stimmung, die von ihnen ausging, vermisst.

Mir wurde deutlich, wie intensiv und nachhaltig die Freiwilligen jedes Jahrgangs das Leben vieler Menschen bereichern. Entsprechend schwer fiel es mir, bei jedem dieser Treffen zu erklären, wie die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes, ausgelöst durch den aktuellen Krieg, eine Entsendung des Freiwilligenjahrgangs 2024/2025 unmöglich macht. Zugleich betonte ich, dass wir alles dafür tun, um im September 2025 wieder neue Freiwillige nach Israel zu entsenden. Neben dem Verständnis für diese Entscheidung war bei allen Besuchen ein Grundtenor spürbar: die Hoffnung, dass dieser Krieg ein Ende findet und wir bald wieder an die wertvolle Zusammenarbeit anknüpfen können.

Ein etwas anderes Gespräch führte ich bei Amcha, einer Organisation, die Shoah-Überlebende betreut. Mor, die Leiterin des Jerusalemer Büros, betonte zwar ebenfalls, wie sehr sie die Freiwilligen vermisst, lenkte das Gespräch jedoch schnell auf die traurige Realität: Viele Überlebende seien in den letzten Monaten verstorben, und die Zeit, in der unsere Freiwilligen mit Zeitzeug/Innen arbeiten können, gehe bald zu Ende.

Obwohl ich dies natürlich theoretisch wusste, hat mich diese Begegnung besonders getroffen. Es ist bedauerlich, dass der Krieg der neuen Generation ASF-Freiwilliger das Privileg der Begegnung mit Shoah-Überlebenden in Israel nimmt – das Zuhören, das Lernen und die Chance, diese einzigartigen Geschichten weiterzutragen. Im Netzwerk Israel unterstützt ASF daher die AMCHA-Arbeit mit Überlebenden, die während der häufigen Raketenangriffe besonders gefährdet waren und unter Isolation litten.

Doch über diese psychosoziale Hilfe hinaus wollten wir auch wieder direkte Begegnung ermöglichen: Bereits vor meinem offiziellen Antritt als Landesbeauftragter hatten wir im ASF-Büro in Berlin darüber diskutiert, wie wir auf die aktuelle Situation reagieren und ein „Zeichen“ setzen können, um den Dialog mit den Überlebenden aktiv fortzuführen. Das Ergebnis war das Projekt „Lishmor al Kesher“ – wörtlich übersetzt „Den Kontakt bewahren“, von dem ich der AMCHA-Leiterin Mor bei dieser Gelegenheit erzählte:

Das Konzept ist einfach und dennoch wirkungsvoll: Solange unsere Freiwilligen die Überlebenden nicht besuchen können, lädt das ASF-Büro in Israel die Überlebenden in unsere – aufgrund des Krieges derzeit nur wenig ausgelastete – Jugendbildungsstätte Beit Ben Yehuda (BBY) in Jerusalem ein. Hier schaffen wir einen Raum, in dem sich Shoah-Überlebende mit Freunden des israelischen ASF-Israel-Büros in einer offenen, warmen Atmosphäre treffen, gemeinsam essen und etwas Zeit miteinander verbringen können.

Mor fand die Idee überzeugend und versprach ihre Unterstützung.

Im Dezember fand nun das erste Treffen von Lishmor al Kesher statt. Zwanzig Holocaustüberlebende nahmen an diesem besonderen Nachmittag im BBY teil, ebenso wie Mitarbeitende der politischen deutschen Stiftungen, der Sozialreferent der Deutschen Botschaft und andere aktive Freund*innen, die der Einladung von ASF gefolgt waren. Bereits während des gemeinsamen Essens war es bewegend zu sehen, wie schnell eine vertraute Atmosphäre entstand. Doch trotz der heiteren Stimmung waren auch belastende Momente der Erinnerung präsent:

Shmuel, ein Überlebender aus Bulgarien, erzählte, wie er als Kind in der Schule als „dreckiger Jude“ beschimpft wurde. Margaretha beschrieb, wie ihre Familie lange Zeit von Kartoffelschalen leben musste und Meir teilte, dass Musik für ihn schon immer ein Anker im Leben war – ein Mittel, um die traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit zumindest für kurze Zeit zu vergessen. Den Höhepunkt des Nachmittags bildete dann entsprechend ein Klezmer-Konzert, gestaltet von Mendy Cahan und Olga Avigail. Die Musik füllte den Raum mit Leben – es wurde gesungen, gelacht und sogar getanzt.

Die positive Resonanz auf dieses erste Treffen hat uns tief berührt und motiviert, die Veranstaltungsreihe fortzusetzen. Die nächsten Begegnungen sind bereits in Planung, und wir freuen uns darauf, weiteren Überlebenden durch Musik, Gemeinschaft und Austausch einen Lichtblick zu schenken.

In all dem liegt die Hoffnung, dass wir bald wieder ASF-Freiwillige in Israel begrüßen können, damit neue Brücken zwischen den Generationen entstehen. Bis dahin wollen wir den Kontakt bewahren – im wahrsten Sinne des Wortes.

ASF bedankt sich herzlich bei der Axel Springer Stiftung und dem Verein Nir Yaakov, deren großzügige Spenden diese besonderen Treffen ermöglicht haben. Für die Durchführung weiterer Veranstaltungen suchen wir noch Unterstützer*nnen. Bei Interesse oder Fragen dürfen Sie sich gerne an den ASF-Landesbeauftragten in Jerusalem Uriel Kashi wenden.

Uriel Kashi, Referent, Reiseleiter und ASF-Landesbeauftragter in Jerusalem

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