27. Januar, Erinnerungskultur, Klare Kante gegen Rechts, Presse

Gerade heute: Brandmauer schützen und menschenfeindlicher Hetze entgegentreten!

Pressemitteilung zum 27. Januar – mit einem Kommentar des Schriftstellers und ASF-Kurators Saša Stanišić

Saša Stanišić, Leipziger Buchmesse 2014. Bild: Wikimedia Commons/Amrei Marie [CC BY-SA 3.0]

Heute jährt sich die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau zum achtzigsten Mal. Auschwitz steht für die systematische und brutale Vernichtung von Millionen Menschen durch Deutsche. Es ist ein präzedenzloses Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein Versagen der Nächstenliebe und der Zivilcourage. Auschwitz steht für die Abschaffung der Demokratie, für Kaltherzigkeit und die Abweisung schutzbedürftiger Menschen durch viele Staaten.

ASF-Geschäftsführerin Jutta Weduwen sagt dazu: „Wir gedenken besonders in diesen Tagen aller Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Ihr Schicksal lehrt uns, das Recht auf Asyl gerade in Deutschland zu schützen. Das Wissen um Auschwitz mahnt uns, für Demokratie und Menschenwürde zu kämpfen. Wir treten Menschenfeindlichkeit und Geschichtsrevisionismus vehement entgegen. Dank zivilgesellschaftlicher Initiativen und innerhalb der internationalen Gemeinschaft ist es in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, die Demokratie in Deutschland zu festigen, sich kritisch mit der eigenen Gewaltgeschichte auseinanderzusetzen und Rechtsextremismus wirkungsvoll die Stirn zu bieten. Mich erschüttert, dass das alles nun ins Wanken gerät.“

Wir beobachten in den letzten Wochen einen weiteren Rechtsruck und eine fortschreitende rassistische Verrohung des politischen Diskurses, der auch in der Mitte der Gesellschaft angefeuert wird. Über die jüngsten Äußerungen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik mit den Stimmen aller im Parlament vertretenen Parteien durchsetzen zu wollen, sind wir zutiefst besorgt. Auch wenn die CDU beteuert, eine Zusammenarbeit mit der AfD weiter auszuschließen, bedeutet die Inkaufnahme von AfD-Stimmen einen weiteren Schritt beim Einreißen der Brandmauer gegen die extreme Rechte.

Wir sind besorgt, wenn tragische Anschläge gegen unschuldige Menschen instrumentalisiert werden, um pauschal gegen Muslim*innen, Geflüchtete und Migrant*innen zu hetzen, mit unmenschlichen Maßnahmen gegen sie vorzugehen und ihnen Schutz und Teilhabe zu verwehren.

Millionen Menschen fliehen weltweit vor Verfolgung, Kriegen und Klimakatastrophen. Sie bringen sich in Gefahr und verdienen unseren Schutz und dass ihnen zugehört wird. Migrant*innen bereichern unsere Gesellschaft und bringen sich mit ihren Perspektiven, ihren Fertigkeiten und ihrer Kunst ein.

So wie der Schriftsteller Saša Stanišić, der 1992 mit seinen Eltern aus Bosnien floh und heute für ASF im Kuratorium sitzt und kommentiert:

„In Deutschland ist Unsägliches wieder sagbar, Unglaubliches wieder salonfähig, die Lehren der Vergangenheit werden ignoriert, für Probleme nicht Lösungen angeboten, sondern Schuldige gesucht. Und die Schuldigen sind einmal wieder – „die Anderen“. Die Migranten, die Geflüchteten, diejenigen, die auf den finanziellen Leitern oft auf der untersten Sprosse stehen, die ohne Stimme und damit ohne Macht.

[…] Dem können wir, dem dürfen wir nicht tatenlos zuschauen. Dürfen nicht die Fehler der Geschichte wiederholen und denen die Deutungsmacht über die Gegenwart überlassen, die diese fehlerhaft auslegen und uns gegeneinander ausspielen, statt sie miteinander gestalten zu wollen. ‚Kein Fußbreit dem Faschismus‘, erscheint schon zu spät. Keinen Schritt weiter aber, das ist noch drin.“

Zum vollständigen Kommentar: s.u.

 

Keinen Schritt weiter – das ist noch drin. Ein Kommentar von Saša Stanišić

In der Politik herrschen Geschichtsvergessenheit und schlimmer: Gegenwartsvergessenheit.

In der Politik herrschen Geschichtsvergessenheit und schlimmer: Gegenwartsvergessenheit.

Vergessen wird nicht nur, wozu wir in der Vergangenheit fähig waren, anderen Menschen anzutun, nachdem wir sie abgewertet hatten durch Entmenschlichungen und das Abstreiten und Berauben ihrer Daseinsberechtigung, vergessen wird auch, dass unsere Freiheit heute auf dem Sieg gegen das Abwerten, Entmenschlichen, Töten – gegen den Faschismus – fußt, und dass unser Handel auf weltweiter Vernetzung von Menschen, Märkten, Werten geschieht, vergessen wird, dass unsere Kultur niemals nur Einzahl ist, sondern aus unzähligen Einflüssen und Zuflüssen geformt wird zu einer Mehrzahl an Tun und Lassen, an Wirken und Bewirken, an Darstellen und Gestalten.

Vergessen wird, dass wir als Gesellschaften immer dann am stärksten waren und sind, wenn es uns nicht um „Wir“ gegen „Die“ geht, sondern darum, als Viele an einem Strang zu ziehen; nur so sind die weltumfassenden und die Welt bedrohenden Probleme – solidarisch – lösbar.

Genau das Gegenteil geschieht aber gerade. In Deutschland ist Unsägliches wieder sagbar, Unglaubliches wieder salonfähig, die Lehren der Vergangenheit werden ignoriert, für Probleme nicht Lösungen angeboten, sondern Schuldige gesucht. Und die Schuldigen sind einmal wieder – „die Anderen“. Die Migranten, die Geflüchteten, diejenigen, die auf den finanziellen Leitern oft auf der untersten Sprosse stehen, die ohne Stimme und damit ohne Macht. Wahlsieger stehen auf solcherlei Lügengebäuden, und wer das Geld hat, bestimmt auch über die Macht und inzwischen auch über die „Wahrheit“.

Eine verheerende Entwicklung, die sich in den jüngsten Aussagen der einstigen Konservativen spiegelt. Diese haben das „C“ in ihrem Namen längst eingebüßt und machen sich nun dahin auf, auch das „D“ zu beschädigen, indem sie sich an die rechtsextremen Kräften kletten.

Dem können wir, dem dürfen wir nicht tatenlos zuschauen. Dürfen nicht die Fehler der Geschichte wiederholen und denen die Deutungsmacht über die Gegenwart überlassen, die diese fehlerhaft auslegen und uns gegeneinander ausspielen, statt sie miteinander gestalten zu wollen. „Kein Fußbreit dem Faschismus“, erscheint schon zu spät. Keinen Schritt weiter aber, das ist noch drin.

Saša Stanišić

Der Schriftsteller wurde 1978 in Višegrad (Jugoslawien) geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Seine Werke wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt und viele Male ausgezeichnet. Sein offener, phantasievoller und gewitzter Umgang mit deutscher Sprache und Geschichte(n) kennzeichnen viele seiner Werke. Saša Stanišić lebt und arbeitet in Hamburg. Er ist dort Fußballtrainer einer F-Jugend. Seit längerem schon liest Saša Stanišić bei Freiwilligenseminaren und ASF-Veranstaltungen und bringt sich als Mitglied des ASF-Kuratoriums ein.

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