Sommerlager
Erinnerungskultur aktiv gestalten: Sommerlager 2024

„Die Arbeit auf dem verlassenen Friedhof war sehr erfüllend. Nach jedem Arbeitstag konnten wir deutlich sehen, wie viel wir erreicht hatten – dieser Ort begann wieder, wie ein Friedhof auszusehen.“ Diese berührende Erfahrung machte eine Teilnehmerin während des Sommerlagers in Višķi (19.08.-29.08.2024), einst einem typischen historischen jüdischen Schtetl in Südostlettland, das das reiche jüdische Leben in Osteuropa verkörperte. Seit drei Jahren engagieren sich Teilnehmende der ASF-Sommerlager an dem malerischen Ort, wo sie am Fundament der ehemaligen Synagoge sowie am vernachlässigten Friedhof arbeiten. Die Sommerlager führen nicht nur praktische Veränderungen an den Projektorten herbei, sie bewirken auch viel in den Köpfen der Teilnehmenden: „Wir haben nicht nur Fortschritte auf dem Friedhof gemacht, sondern auch bei unserem Wissen über jüdische Traditionen und die baltische Erinnerungskultur. Der Austausch in der Gruppe war sehr bereichernd.“
Ein fester Bestandteil des ASF-Programms ist das jährliche Sommerlager an der Gedenkstätte Buchenwald (21.07.-03.08.2024). In diesem Jahr arbeiteten dort zwölf junge Menschen aus Deutschland, Polen und Belarus. Sie pflegen den Gedenkweg, der entlang der ehemaligen Bahntrasse zum Lager führt. Die KZ-Inhaftierten mussten unter schwersten Bedingungen den Bahndamm anlegen. Heute ein grüner Ort mitten Wald würde kaum etwas daran erinnern, wenn nicht eine Initiative von vielen Ehrenamtlichen mit der Gedenkstätte den Gedenkort erhalten würde. Nun erinnern Infotafeln sowie Feldsteine mit den Namen von Opfern an diese Geschichte. Das Sommerlager half mit Grünarbeiten und gravierte eine Reihe weiterer Steine. Diese ehrenamtliche Arbeit wurde durch einen Besuch der Familienministerin Lisa Paus gewürdigt. Sie betonte die zentrale Bedeutung von solch eigenständigem historischen Lernen und ehrenamtlicher Initiative für die Erinnerungskultur.
Ein anderes Sommerlager führte in diesem Jahr 25 Teilnehmende aus Deutschland, Griechenland, Polen und Spanien nach Kryoneri (25.06.-07.07.2024), ein kleines Dorf auf dem Peloponnes. „Es war ein wunderbares Sommerabenteuer!“, berichtet ein Teilnehmer. Die Hauptaufgabe der Gruppe bestand darin, den Zugang zur Höhle freizumachen, in der die Dorfbewohner*innen die jüdische Familie von Rivka Kamhi während der Besatzung versteckt hatten. „Die Geschichte dieser Familie und das Heldentum der Einwohner*innen von Kryoneri motivierten mich, selbst unter der brennenden Sonne zu arbeiten. Nachmittags hatten wir die Möglichkeit, die Geschichte der deutschen Besatzung und deren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung zu erkunden und uns über Demokratie und aktuelle Herausforderungen in der Gesellschaft auszutauschen. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung.“
Das Sommerlager wurde durch das Programm „Citizens, Equality, Rights and Values“ (CERV) der Europäischen Union gefördert, das unter anderem Projekte zu den Themen Gleichstellung, Teilhabe und Gewaltprävention beinhaltet. Auch das Sommerlager im polnischen Oświęcim (10.-20.08.2024) fand dank der Unterstützung des Programms CERV statt. In diesem internationalen Sommerlager lernten 25 Teilnehmende die Geschichte des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz kennen und arbeiteten mit lokalen Akteur*innen an der Erstellung einer Informationsmappe in englischer Sprache. „Für mich war das Sommerlager eine intensive und bereichernde Erfahrung. Thematisch haben wir sehr viel erarbeitet. Was mir jedoch besonders wichtig war, ist die persönliche und emotionale Ebene, die sich durch den Austausch in der Gruppe entwickelt hat. Für mich war das Lager auch eine Chance, über den historischen Kontext hinaus in die persönliche Verarbeitung einzutauchen und eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen“, berichtete eine Teilnehmende.
Ein neuer und wichtiger Akzent der ASF-Sommerlager ist die Auseinandersetzung mit der neueren deutschen Geschichte: oftmals verdrängte Perspektiven und Ereignisse sichtbar zu machen und auf die eigene Gegenwart zu beziehen. 2024 fand erstmals ein Sommerlager in Rostock (08.09.-18.09.2024) statt, das sich kritisch mit dem rassistischen Pogrom von 1992 in Rostock-Lichtenhagen auseinandersetzte. Die Teilnehmenden arbeiteten in Archiven und gestalteten eine Radiosendung zum Thema. „Mir war nicht bewusst, welches Ausmaß der Pogrom hatte. Ich nehme jetzt einen kritischen Blick auf die deutsche Erinnerungskultur mit“, resümierte eine Teilnehmerin nach dieser eindrucksvollen Erfahrung. Auch hier zeigte sich in der Arbeit der Partnerorganisation „Lichtenhagen im Gedächtnis“ die Bedeutung der lokalen Erinnerungsarbeit durch die Zivilgesellschaft.
Nach einer erfolgreichen Sommerlagersaison sind bereits neue Projekte in der Planung. Im kommenden Jahr möchten wir den Schwerpunkt auf die Verfolgung von Sinti*zze und Rom*nja in Polen und Tschechien sowie auf das Thema Zwangsarbeit in Deutschland legen. Die generationsübergreifenden Sommerlager auf jüdischen Friedhöfen in Mitteleuropa und im Baltikum sind weiterhin fester Bestandteil unseres Programms. Das detaillierte Programm wird im Februar veröffentlicht und die Anmeldung öffnet ab März.
Mehr Informationen über das Sommerlager-Programm hier: https://asf-ev.de/sommerlager
Eindrücke aus den Sommerlagern
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