ASF-Geschichte(n), ASF-Weggefährt*innen, Polen, Sommerlager

Erinnerungen an Maria Lorenz

21. Juni 1949 – 6. Dezember 2024

Bild: ASF

Am 6. Dezember 2024 verstarb Maria Lorenz im Alter von 75 Jahren. In den christlichen Kirchen und auch in der Gesellschaft feiern wir am 6. Dezember den St. Nikolaustag. Der Heilige Nikolaus war ein Mensch mit politischer Weitsicht und sozialem Engagement. Eigenschaften, die auch auf Maria Lorenz zutreffen. Als Kantor-Katechetin war sie ihr gesamtes Berufsleben in der Evangelischen Kirchengemeinde in Geyer im Erzgebirge tätigt. Sie war bodenständig und zugleich aktiv weit über ihre Heimat hinaus tätig.

Ihre ehrenamtliche Tätigkeit bei Aktion Sühnezeichen beginnt ab 1970 mit der Übernahme der Leitung von Sommerlagern und ihrer aktiven Mitarbeit im Leitungskreis der Aktion Sühnezeichen. Hier brachte sie sich über Jahre hinweg ein, gestaltete die Fusion der beiden Aktionen aus Ost und West nach 1990 mit und blieb auch danach noch einige Jahre im Leitungskreis tätig. Hier ging es auch um die praktische Gestaltung und die Zusammenführung der beiden Aktionen aus Ost und West.

Sie half dabei, die Sommerlagertradition aus der DDR in den gesamtdeutschen Verein zu überführen. Statt einem einjährigen Freiwilligendienst kamen hierfür Menschen nur für einige Wochen zusammen, um gemeinsam an einem konkreten Projekt zu arbeiten – dies war auch im Jahresurlaub machbar und damit auch für Menschen, die schon arbeiteten oder sich in einer Berufsausbildung befanden. Im gesamten Gebiet der DDR, aber auch in Polen, Tschechien und weiteren Ländern fanden Sommerlager statt. Sie waren wichtige Orte des historischen Lernens und der internationalen Begegnung. Selbst organisiert und ehrenamtlich getragen waren sie auch demokratische Lernorte.

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs waren nun in ganz Europa Sommerlager möglich. Gerade für junge Menschen aus Mittel- und Osteuropa boten sie nach 1990 eine Möglichkeit, die damals für sie noch herrschenden Visumsgrenzen zu überwinden. In beide Richtungen eröffneten sie wichtige Begegnungen über die einstigen Blockgrenzen hinweg.

Hinter dieser Aufzählung von Maria Lorenz‘ Aktivitäten stehen viele Termine im Ostberliner Büro der ASZ und in der ganzen DDR. Eine Fahrt von Geyer in die Hauptstadt der DDR dauerte mit öffentlichen Verkehrsmitteln circa fünf Stunden. Zurück ging es auch nicht schneller. Es hörte sich mitunter unglaublich an, wenn Maria Lorenz berichtete, wie sie bei hohen Schneeverwehungen im heimatlichen Erzgebirge die Fahrt nach Berlin in den frühen Morgenstunden angetreten ist. In Berlin selbst keine Spur von Schnee.

Maria Lorenz hat diese Herausforderung angenommen und für die Entscheidungen bei ASZ war es wichtig, aus den Bezirken und Regionen der DDR die politische Stimmungslage zu erfahren. Mit hoher Zuverlässigkeit und Kommunikationsfähigkeit hat sie die alles andere als einfachen Prozesse vor und nach der Fusion der beiden „Sühnezeichen“ mit begleitet. Sie war erkennbar in ihren Positionen. Gesprächsbereit, herzlich und vermittelnd, wenn Konflikte sich verstärkten.

Maria Lorenz war jemand, der gerne praktisch gearbeitet hat. Ihre Teilnahme und Leitung in vielen Sommerlagern machen das deutlich. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit waren die Einsätze in Form der Sommerlager im Kinder-Krankenhaus in Warschau. Es wurde in der Stadt, die systematisch von der deutschen NS-Besatzung zerstört worden war, als ein lebendiges Mahnmal gebaut und soll an die polnischen Kinder erinnern, die im Zweiten Weltkrieg umgekommen sind. Über den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR war es möglich, dass Aktion Sühnezeichen über viele Jahre in diesem Krankenhaus arbeiten konnte. Das war für die Arbeit von ASZ einmalig. Die Einsätze von ASZ im Ausland wurden ja von der Regierung der DDR abgelehnt. Auch in den 1980er-Jahren, während der Zeit des Kriegsrechtes mit einem humanitären Notstand in Polen, konnten diese Einsätze stattfinden.

Über viele Jahre hinweg hat Maria Lorenz in jedem Jahr ein Sommerlager in Warschau geleitet. Durch ihre kontinuierliche Arbeit und Offenheit hatte sie sich auch in besonderer Weise das Vertrauen der polnischen Mitarbeiter*innen und der polnischen Leitung erworben.

In den letzten fünf Jahren war Maria Lorenz durch ihre Krankheit sehr eingeschränkt in Sprache und Kommunikation. Leider war es nicht mehr möglich, einfach mal per Telefon zu sprechen und so in Kontakt zu bleiben. Wer die Möglichkeit hatte, sie in ihrer Häuslichkeit des Heimes zu erleben, spürte ihre Herzlichkeit und innere Freude.

Ein Mensch hat uns verlassen und so danken wir für den gemeinsamen Weg, den wir zusammen mit Maria Lorenz gehen und erleben konnten. Sie ist uns vorausgegangen auf den Herrn zu, der uns allen nahe ist.

Michael Standera war Mitglied im Leitungskreis von ASZ seit 1975, Geschäftsführer von ASZ 1981 bis 1993, ab 1983 bis 2016 als Abteilungsleiter und Direktor beim Caritasverband im Erzbistum Berlin und im Bistum Görlitz.

Maria Lorenz und die Sommerlager im Kinderkrankenhaus Warschau

Sommerlager-Gruppe und Mitarbeitende in der Wäscherei des Kinderkrankenhauses Warschau

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