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Ein Antisemit weniger auf Berliner Straßenschildern

Mit der Umbenennung in Betty-Katz-Straße endet der jahrzehntelange Streit um die Berliner Treitschkestraße. ASF setzte sich seit langem schon für einen anderen Namen ein.

Wohnblock an der Treitschkestrasse, Berlin, früher benannt nach Heinrich von Treitschke, im Stadtteil Steglitz.
Die bis dato nach Heinrich von Treitschke benannte Straße im Berliner Stadtteil Steglitz. Bild: Wikimedia Commons/Muns [CC BY-SA 3.0]

In politischen Auseinandersetzungen braucht es oft einen langen Atem. Dass ein lokalpolitischer Streit allerdings fast drei Jahrzehnte andauert, ist eher ungewöhnlich. Umso erfreulicher, dass der langwierige Kampf für die Umbenennung einer Straße in Berlin-Steglitz nun endlich von Erfolg gekrönt – auch ASF hatte daran immer wieder Anteil. Nach mehr als einem Vierteljahrhundert kontroverser Debatten beschloss die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Steglitz-Zehlendorf im Januar 2025, die bisherige Treitschkestraße in Betty-Katz-Straße umzubenennen. Geehrt wird damit die Direktorin des einstigen Jüdischen Blindenheims in Steglitz, die 1944 in Theresienstadt ermordet wurde.

Der Historiker Heinrich von Treitschke war Ende des 19. Jahrhunderts einer der wirkmächtigsten Wegbereiter des Antisemitismus in Deutschland. Mit seiner programmatischen Schrift „Die Juden sind unser Unglück“ hatte er 1879 den Berliner Antisemitismusstreit ausgelöst und damit entscheidend dazu beigetragen, die Judenfeindschaft in bürgerlichen Kreisen gesellschaftsfähig zu machen. Kein Wunder, dass sich auch die Nazis gerne des Treitschke-Zitats bedienten und es zum Leitspruch des antisemitischen Kampfblattes „Der Stürmer“ machten.

Erste Bemühungen für eine Umbenennung gab es bereits in den 1990er-Jahren. Auf Initiative der evangelischen Patmos-Gemeinde, die an der Treitschkestraße liegt, beschloss die BVV im Jahr 2000, immerhin ein Teilstück der gut 500 Meter langen Nebenstraße nach Kurt Scharf zu benennen. Der Bischof und Mitbegründer von ASF hatte bis zu seinem Tod im Jahr 1990 regelmäßig in der Patmos-Gemeinde gepredigt. Der Beschluss wurde allerdings wieder rückgängig gemacht. Eine juristische Prüfung hatte ergeben, dass so kurze Straßenabschnitte nicht unterteilt werden dürfen.

Gemeinsam mit der Patmos-Gemeinde machte sich ASF daraufhin für die Umbenennung der gesamten Straße in Kurt-Scharf-Straße stark. In einem offenen Brief, den Prominente wie Iris Berben, Hildegard-Hamm-Brücher und Rita Süssmuth unterzeichnet hatten, wurde es als Skandal bezeichnet, „dass in Berlin noch immer ein ausgewiesener Antisemit mit einem Straßennamen geehrt“ werde. Anlässlich seines 100. Geburtstag setzte sich ASF dafür ein, stattdessen Kurt Scharf zu würdigen, der in der Bekennenden Kirche aktiv war, als Landesbischof und Ratsvorsitzender der EKD ohne Ansehen der Person Menschen in Not beistand und sich in herausragender Weise für Frieden, Gerechtigkeit und Demokratie einsetzte. Als ASF-Vorsitzender rief Scharf 1982 in einer Rede vor der UNO-Vollversammlung zur weltweiten Ächtung von Atomwaffen auf.

Beim Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin verschaffte ASF dem Anliegen mit einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Keine Ehrung für Wegbereiter des Antisemitismus“ mit der langjährigen Bundestagspräsidentin Antje Vollmer und einer Resolution mit über 3.000 Unterzeichner*innen bundesweite Aufmerksamkeit.

Eine Umbenennung der Treitschkestraße scheiterte dennoch immer wieder am Widerstand von CDU und FDP in der BVV, die den Straßennamen als Zeugnis der unterschiedlichen Epochen der Geschichte erhalten wollten und sich auf die Meinung der Anwohner*innen beriefen. Vielen scheuten den mit einer Namensänderung verbundenen Aufwand und störten sich nicht an der antisemitischen Haltung Treitschkes. Bei einer Anwohnerbefragung im Jahr 2012 sprachen sich drei Viertel gegen eine Umbenennung aus, bei einer weiteren zum Jahreswechsel 2022/23 waren es sogar fast 85 Prozent.

Auch wenn sich Kurt Scharf als Namensgeber nicht durchsetzen ließ. Die Umbenennung der Treitschkestraße in Betty-Katz-Straße ist ein (lokal-)historischer Erfolg, für alle, die sich – mit dem nötigen langen Atem – gegen Antisemitismus und für eine weltoffene und demokratische Gesellschaft im Kleinen wie im Großen einsetzen. Es ist gut, dass hier künftig an Betty Katz erinnert wird.

Johannes Zerger ist Geschäftsführer der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste – ijgd. Von 1996 bis 2009 war er ASF-Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising.