Erinnerungskultur, Zivilcourage und Widerstand

Die letzte verantwortliche Frage. 80 Jahre nach der Ermordung von Dietrich Bonhoeffer

Am 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg ermordet. Sein Denken, Glauben und Handeln prägte den Weg zur Gründung von ASF und prägen unsere Arbeit bis heute.

Dietrich Bonhoeffer mit Schülern, Bild: Bundesarchiv (183-R0211-316)

Im Morgengrauen des 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer nach einem nächtlichen Scheingericht im KZ Flossenbürg ermordet. Zwei Jahre vorher, am 5. April 1943, war er im Alter von 37 Jahren in seinem Elternhaus in der Marienburger Allee 43 in Berlin-Charlottenburg verhaftet worden. Hier hatte er seinen Lebensort in unsteten Zeiten, fanden konspirative Treffen statt, schrieb er Teile seiner Ethik. Hierher kamen seine Briefe aus der Haft an die Familie und an seine Verlobte Maria von Wedemeyer. Helmut Linke, Unteroffizier mit Zivilcourage im Wachpersonal der Untersuchungshaftanstalt der Wehrmacht, schmuggelte die Briefe an der Zensur vorbei. Wir kennen sie aus dem von seinem Freund und Biografen Eberhard Bethge herausgegebenen Band ‚Widerstand und Ergebung‘ und aus „Brautbriefe Zelle 92. Dietrich Bonhoeffer–Maria von Wedemeyer. 1943-1945“.

An der Jahreswende 1942/43 verfasste Bonhoeffer seine Bilanz über das Leben im Widerstand gegen die NS-Diktatur („Nach zehn Jahren“). In diesem Dokument mit historischen, politischen und spirituellen Gedanken schreibt er zu der von Gott auferlegten „Mitverantwortung für den Gang der Geschichte“: „Die Rede von heroischem Untergang angesichts einer unausweichlichen Niederlage ist im Grunde sehr unheroisch, weil sie nämlich den Blick in die Zukunft nicht wagt. Die letzte verantwortliche Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern [wie] eine kommende Generation weiterleben soll.“

Kein Funken Selbstmitleid, keine Selbstverklärung als Heroe oder Märtyrer, – das zeichnet nicht nur Dietrich aus, sondern auch viele andere im Widerstand gegen die NS-Tyrannei, wie auch seinen Bruder Klaus und die beiden Schwäger Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher, die wie Dietrich Bonhoeffer im April 1945 ermordet wurden. Wer aus ihm, wie im US-Film ‚Bonhoeffer‘, einen zum Christus stilisierten Helden macht, vereinnahmt ihn für eigene Zwecke, die womöglich noch als angeblicher ‚Widerstand‘ gegen das ‚Establishment‘ verstanden werden.

Ein ganz anderes Licht aber fällt auf das Denken und Handeln von Menschen, die aus ihrem Glauben, ihrer Menschlichkeit und Würde heraus Widerstand leisten: In der Bergpredigt, die für Bonhoeffer in der Mitte der Botschaft Jesu steht, preist Jesus die selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden (Matthäus 5,10). Jesus verheißt ihnen: „Denn ihrer ist das Himmelreich:“ „Selig“ bedeutet, Gottes Willen tun, wie es in der Bitte im Vaterunser heißt: „Dein Wille geschehe“ – nicht: „wie auf Erden so im Himmel“, sondern umgekehrt – „wie im Himmel, so auf Erden“.

Dabei kann keine Aufgabe wichtiger sein als für das „Weiterleben der kommenden Generation“ zu sorgen. Die Aufteilung der Gesellschaft in „Wir und die Andern“ spaltet und ist eine unverantwortliche Ablenkung von den entscheidenden Zukunftsthemen vor der Haustür wie im globalen Maßstab: Klima, gerechter Friede, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Verständigung und Zusammenarbeit der Völker, nachhaltige Wirtschaft, Infrastruktur, Armut, Wohnen, Gesundheit, Ernährung, Bildung. Das große Ziel für die Widerstandsgruppen „20. Juli“, „Kreisauer Kreis“, „Freiburger Kreise“ und viele andere war die Wiederherstellung des Rechtsstaats in Verantwortung vor Gottes Willen und der Verpflichtung zur Menschenwürde.

Geburtstage erinnern an die Familie, in die ein Mensch hineingeboren ist, Todestage machen deutlich, mit wem und wofür ein Mensch gelebt und gekämpft hat.

Im Bonhoeffer-Haus sind beide Aspekte im Blick. Wir laden herzlich ein zur wöchentlichen Öffnungszeit sonnabends um 10 Uhr und nach Vereinbarung. Anmeldung: www.bonhoeffer-haus-berlin.de

Gottfried Brezger, Pfarrer i.R., ist Vorsitzender der Erinnerungs- und Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus in Berlin

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